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Vom 35. Evangelischen Kirchentag Stuttgart 2015

Kirchentag

07.06.2015 von Bernd Buerschaper

Mit einem Festgottesdienst auf dem großen Freifeld der Canstatter Wasen ging am Sonntag der Evangelische Kirchentag in Stuttgart zu Ende. Der Kirchentag hat, wie es unter den evangelikalen Christen Tradition ist, mehrheitlich politisch und gesellschaftlich denkende Christen und Neugierige angesprochen. Kaum ein Thema wurde ausgeklammert; von der Ehe gleichgeschlechtlicher Paare über Kriegseinsätze bis zur Flüchtlings"problematik" wurde eifrig diskutiert und evangelikale Meinungsbilder formuliert. Aber hat das auch etwas mit dem Halbsatz aus Psalm 90 zu tun, der dem Kirchentag das Motto gab?


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"Die nächsten Tage werden es zeigen, welches das bestimmende Thema des Kirchentages sein wird. Das können wir nicht voraussehen!"

So etwa lautete der Satz, gesprochen vom Kirchentagspräsident Andreas Barner gleich zu Beginn des Kirchentages. Und er kann nur als bewußte Täuschung des Publikums verstanden werden. Tatsächlich haben "die Macher" (auch wenn sich der Kirchentag als weit umspannende Laienveranstaltung versteht) den Kirchentag so minutiös und generalstabsmäßig (dieses Wort muss hier erlaubt sein) geplant, dass schon vorher klar war, welches das Top-Thema sein soll (muss?), nämlich die deutsche Flüchtlingspolitik. Dieses Thema zog sich von Anfang bis zum Ende durch alle Berichterstattungen, Presseberichte und Interviews. Das der Kirchentag dabei noch irgend eine Eigendynamik in anderer Richtung entfalten konnte, dieses anzunehmen wäre naiv. Nun gut. Das Thema steht aufgrund seiner Aktualität zurecht ganz oben auf der Agenda. Dann aber ist zu fragen, ob es dem Kirchentag gelungen ist, hier wegweisende eigene (evangelikale) Akzente zu setzen? Leider muss diese Frage mit "Nein" beantwortet werden! Dieses Thema kann man eben nicht nur von der Gutmenschenseite aus betrachten, und andere, objektiv vorhandene, Realitäten schlicht ausblenden. Jeder Mensch hat Anspruch auf Menschenwürde, jeder Mensch verdient Schutz in Notsituationen, dieses festzustellen muss man nicht Christ sein. Dennoch ist eine differenzierte Betrachtung des Themas unbedingt geboten. Warum ist es auf dem Kirchentag nicht gelungen, sich dieser Komplexität zu stellen? Weil diejenigen, die das Handlungsschema nach christlichem Bilde bestimmen und einfordern, selbst keine Entscheidungsträger sind, die ihre Entscheidungen in alle Richtungen abwägen müssen. Insofern kam die Watschen aus der Politik, noch während des laufenden Kirchentages, nicht überraschend und postwendend. Innenminister de Maizere sagte sinngemäß: "... wir werden zukünftig mehr Asylanten abweisen müssen.". Und so zementiert der Kirchentag das Gefüge: hier wir, die Gutmenschen mit christlichem Ethos, und da die Ignoranden und Spießer. Dieses war besonders deutlich auf einer Podiumsdiskussion mit Minister de Mazeire und Frau Gröring-Eckardt zu spüren. Und das tut nicht gut!

Wäre es nicht ein Zeichen der Tat gewesen, wenn das Kirchentagspräsidium in der Vorbereitung des Kirchentages eine Arbeitsgruppe gebildet hätte (z.B. unter Vorsitz Nora Steen), um eigene Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlingen innerhalb des Verwaltungsraums der EKD-Kirche auszuloten und auf den Weg zu bringen?

Dieses eben beschriebene Muster läßt sich auch auf andere Themenschwerpunkte des Kirchentages ausweiten. Wie ernst darf man z.B. (wieder einmal!) Frau Kässmann nehmen, wenn sie in ihrer Bibelarbeit einen Schuldenerlaß für Griechenland erwägt und sich dabei auf das Alte Testament, genauer auf einen Halbsatz von Mose bezieht. Wir zitieren hier den ganzen Vers:

Alle sieben Jahre sollst du ein Erlaßjahr halten. (2. Mose 23.10-11) Also soll's aber zugehen mit dem Erlaßjahr: wenn einer seinem Nächsten etwas borgte, der soll's ihm erlassen und soll's nicht einmahnen von seinem Nächsten oder von seinem Bruder; denn es heißt das Erlaßjahr des HERRN. 5. Mose 15, Vers 1-2

Dabei unterläßt es Frau Kässmann zu erwähnen, was Mose einen Satz später sagt:

Von einem Fremden magst du es einmahnen; aber deinem Bruder sollst du es erlassen.

Theologen, die in höchsten Rang gesetzt wurden, spielen hier (bewußt?) mit unvollständiger Rhetorik und bauen ihre Bibelarbeiten darauf auf. Diese finden dann, relativ unreflektiert, großen Anklang beim treuen Publikum. Besonders verwunderlich dabei ist, dass die ev. Kirche sonst bei jeder Gelegenheit den zeitlichen Kontext von Bibelzitat und der Jetztzeit herzustellen versucht, und sich in Fällen, wo es möglicherweise angebracht wäre, genau dem verwehrt.

Schauen wir noch einmal auf das Leitthema des Kirchentages.

Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen,

auf daß wir klug werden.

Die Endlichkeit unseres Seins auf der Erde und die Klugheit, die es deshalb zu erlangen gilt, werden im Psalm 90 in direkten Zusammenhang gestellt. Ist hier wirklich die Klugheit bezüglich Flüchtlingspolitik, TTIP, Waffenexporten etc. gemeint? Sollen wir, bevor wir selbst nicht mehr sind, noch kurz die Welt retten (wie es Tim Bendzko singt und wovor uns Jesus mehr als einmal abgeraten hat)? Oder ist hier vielleicht von einer anderen Klugheit die Rede? Nämlich jener, die es ermöglicht, unser persönliches Verhältnis mit Gott so gut es nur geht in Ordnung zu bringen, bevor dafür eben keine Zeit mehr ist? Hängt unser persönliches Verhältnis zu Gott etwa von TTIP, der Abschaltung der Atom- und Kohlekraftwerke oder dem solidarischen Verständnis für die Streikenden in den KITAS ab, also allesamt Themen, die selbst in der ev. Gemeinde kein Konsens sind???

Neben diesem allen muss endlich erwähnt werden, dass der Kirchentag viele Veranstaltungen im Programm hatte, bei der tiefgreifende Glaubensfragen erörtert wurden. Es ist das größte Manko des Kirchentags überhaupt, dass darüber (also über das Wichtigste) so gut wie überhaupt nicht berichtet wird. Die tiefgreifende Auseinandersetzung vieler Christen mit ihrem Glauben und mit Gott kommt aus den Hinterzimmern des Kirchentages kaum heraus und findet medial einfach nicht statt. Und das müssen sich ganz allein das Kirchentagspräsidium, die mit der Organisation befassten ev. Landesausschüsse und zahlreiche hochrangige Kirchenvertreter vorwerfen lassen. Nach alter Tradition politisieren Letztere mit ihren Äußerungen immer wieder bis aufs Äußerste, anstatt den Menschen spirituellen Halt(ung) zu geben. Hier fallen stets besonders die ehemaligen und derzeitigen EKD-Vorsitzenden sowie andere hohe kirchliche Funktionsträger auf. Am Ende wundern sie sich, wenn sich die Presse immer und fast ausschließlich nur auf ihre politischen Statements stürzt. Aber letztendlich ziehen sie daraus ihre Daseinsberechtigung für ihre hohen kirchlichen Ämter. Nach ihrem Verständnis gehört das seit Luther zur kirchlichen DNA - sich einmischen. Mit etwas bangem Blick schauen wir deshalb auf die nächsten Kirchentage, die im unmittelbaren zeitlichen Kontext zum 500-jährigen Lutherjubiläum statt finden. Was wird uns also da erst erwarten?

Es geht doch eigentlich fast nur darum, unser persönliches Verhältnis zu Gott so zu verändern, dass wir Gott besser erkennen und verstehen lernen. So lehrt es Jesus immer und immer wieder. Das war die Maxime seines Handelns, und er fordert uns auf, es ihm nachzutun. Erst aus dieser Erkenntnis heraus sind die nächsten Schritte möglich. Christ sein heißt nämlich nicht, die Welt zu verändern, sondern sich selbst zu verändern. Dieses Anliegen den Menschen in und außerhalb des Kirchentages bewußt werden zu lassen, wäre die vortrefflichste Aufgabe des Kirchentages. Darin liegt auch die tiefe Erkenntnis des diesjährigen Kirchentagsmottos:

Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden. Psalm 90, Vers 12

Der nächste Kirchentag wird in Leipzig und Berlin und anderen ostdeutschen Städten stattfinden. Was wird auf der Agenda stehen (außer selbstverständlich Luther)? In Ostdeutschland, wo 90% aller jungen Leute die Jugendweihe der Konfirmation vorziehen und für die Gott ein Fremdwort ist, dort, wo Gemeinden kein Erntedankfest mehr feiern wollen und wo Kirchen im ländlichen Raum zu Museen umfunktioniert werden, liegen große Herausforderungen. Was ist da schief gelaufen in der stolzen, ostdeutschen ev. Kirche, wenn den supervollen Kirchen der Wendezeit nun die Leere und Kirchenabstinenz folgt bis hin zu offener Abneigung? Widmen sich die evangelikalen Kirchen und vor allem ihre Funktionäre zu sehr der Poltik, wie es in diesem Beitrag mehrfach angedeutet wurde? Welchen Schwerpunkt wird die Kirchentagspräsidentin für den nächsten Kirchentag ausrufen?

Und ganz zum Ende möchten wir noch eine Bitte äußern. Lasst uns kein Körpergebet? mehr erleben, wie es auf dem Abschlußgottesdienst praktiziert wurde. Denn das kann man wirklich niemanden mehr erklären, egal ob Atheist oder frommer Christ.